Die ungläubigen Kulleraugen drehen plötzlich hektische Kreise, die tiefe Stirn legt sich in Falten wie ein Rollladen, mit den Fingerkuppen malt die gute Seele aus der menschenleeren Cafeteria seltsame Gebilde in die kalte Abendluft. Die Frage nach dem Objekt der Begier- de trifft sie wie der Schlag. Pascal Roller, ja, den kennt sie, natürlich. Homa kennt hier so gut wie jeden Sportstudenten, egal wie selten die frisch geduschten Gesichter erschöpft am hölzernen Tresen lehnen. Nur dass ausgerechnet Roller, den sie doch (so gut wie jeden) in ihr Herz geschlossen hat, den Termin für das Fotoshooting verpennt haben könnte, nein, das will die kleine Frau einfach nicht wahr haben. Homa fuchtelt mit den Armen, sucht nach möglichen Erklärungen, zuckt mit den Schultern und verdrückt sich lieber wieder in die warme Stube. Dann rumpelt das Handy in der Hosentasche. Pascal Roller - na also, geht doch.
Der wieselflinke Guard der OPEL SKYLINERS hockt noch in der U-Bahn, ist aber gleich da, verspricht er. Die Uhr tickt. Der muffige Hörsaal der Frankfurter Sportuni ist längst präpariert, auch wenn die siffige Tafel trotz intensiver Bearbeitung ihr ursprüngliches Gesicht nicht verändert hat. Roller (27) stülpt den schwarzen Umhang mit dem schicken Kragen über (danke an Theater- kostüme Jansen für den fairen Preis), wirft einen kurzen Blick auf die kryp- tischen Gebilde hinter sich, grinst ins Objektiv und dreht gekonnt die Kugel auf dem Finger. Arbeitstitel: der Basketballprofessor. Die Idee ehrt ihn, "sie ist sehr schmeichelhaft", und er weiß genau, wem er sie mit zu verdanken hat. Die Mutter ist Oberstudienrätin an einem Heidelberger Gymnasium, der Vater, in der Jugend Handballer beim THW Kiel, arbeitet als freier Publizist und Philosoph.
Der Background stimmt allemal. "Beide sind sehr belesen, sie verfügen über ein umfassendes Allgemeinwissen, was ich sehr bewundere", sagt Roller. Später, wenn das atmungsaktive Trikot mit der 11 auf dem Rücken am berühmten Nagel hängt, er viel Zeit zum lesen hat, wird er versuchen, sich "ein ähnliches Wissen anzueignen." Aber was heißt eigentlich später. Nur keine falsche Bescheidenheit. Zehn Semester Sport und Englisch auf Lehramt zeugen nun nicht gerade von unterdurchschnittlicher Intelligenz. Und über- haupt. Welcher Bundesligaspieler, geschweige denn auf seinem Niveau, drückt schon regelmäßig und mit Nachdruck die Unibank? Roller relativiert: "Ich versuche wirklich zu studieren, nur nicht so intensiv, wie das andere vielleicht können." Während der Wintersemester bleibt sein Stuhl leer, dann steht die Liga, stehen die OPEL SKYLINERS im Mittelpunkt. Alles konzentriert sich auf den Sommer.
Dass er den meisten seiner Kommilitonen etwas hinterherhinkt, liegt in der Natur der Sache. Dass Hessens Ministerpräsident Roland Koch ab dem dreizehnten Semester alle Langzeitstudenten ordentlich zur Kasse bittet, tangiert ihn nur peripher. "Ich bin in der glücklichen Lage, die zusätzlichen 500 Euro leicht finanzieren zu können." Per Fernstudium wäre die Angele- genheit womöglich unkomplizierter gewesen. Aber auch eintöniger. Ihn reizt dieses besondere "Uni-Flair", von der eigenen Wohnungstür bis zum Campus sind es bloß ein paar Minuten mit dem Fahrrad, die Kontakte, die ihm auch vieles erleichtert haben. "Die Sportuni zeigt sich sehr kulant, gerade was meine Fehlstunden angeht." Völlig egal ist ihm sein, wenn man denn so will, "Sonderstatus" deshalb nicht. Im Sommersemester wird Roller, so der Plan, die Seiten wechseln und den angehenden Sportlehrern beibringen, was er selbst am besten kann.
11,8 Punkte, 2,7 Assists und 2,9 Rebounds in durchschnittlich 32 Minuten pro Partie (nach dem 21. Spieltag) zieren Rollers sportliche Vita in dieser Spielzeit. Der Kapitän ist nicht bloß mediales Aushänge- schild eines aufstrebenden Unternehmens, sondern auch mehr denn je Kopf der OPEL SKYLINERS. Seine Rolle innerhalb der Mannschaft hat sich gewandelt. Der 1,80m-Mann gibt anno 2004 "den klassischen Aufbau, der nicht mehr so viele Würfe nimmt" und von dem sein Trainer Gordon Herbert erwartet, dass er die Systeme initiiert, das Tempo kontrolliert. Das mag zwar nicht immer sonderlich spektakulär aussehen, nicht wie in vergangenen straight shooter Zeiten, in denen Roller von jenseits der Dreierlinie fast nach Belieben feuern durfte, gibt dem Team auf dem Parkett aber eine gewisse Sicherheit. Und fast hat es den Anschein, als ob sich Roller mehr und mehr seinem einstigen Mentor nähert.
Als der Schmächtige 1999 vom schnucke- ligen Freiburg an den Main wechselt, führt Europameister Kai Nürnberger in der Ball- sporthalle Regie. Roller, das Talent mit dem vielversprechenden Potenzial, soll vom Altmeister lernen. Fünf Jahre später liegt es an ihm selbst, jene "Ruhe und Gelassenheit" auszustrahlen, mit der einst Nürnberger die Fäden gezogen hat. Dass er sich dabei manchmal "wie gefangen" im System der OPEL SKYLINERS fühlt, ist Teil dieses Prozesses. Roller bricht den Fastbreak ab, weil der "secondary break" in diesem Jahr eher selten funktioniert. Er ordnet, wie es "der strenge Auftrag" des Trainers will, versucht, dem Zweck, dem Erfolg, nicht der Show den Vorrang zu geben. Das klappt bisweilen recht ordentlich, der Hang zum Risiko ist dennoch zu spüren. 2,9 Turnover pro Spiel lassen den Fan auf den bunten Sitzen in der Ball- sporthalle oftmals verzweifeln. Wer im Mittelpunkt steht, wird gesehen.
In den Anfangstagen ist der Abiturient aus gutem Hause noch mehr Adjutant denn Werbeträger im Blitzlichtgewitter. Damals zeigt der Werbespot des Rüsselsheimer Autobauers, wie sie alle den kleinen Roller schicken, als beim Körbewerfen der Skyliners auf dem Dach eines Hochhauses der Ball in die Tiefe fällt. Heute müssten andere die Stufen runter hecheln. Manager Gunnar Wöbke hat dem Club ein Gesicht gegeben, er hat Roller, den Mann der ersten Stunde, zu dem Aushängeschild aufgebaut. Das war nicht immer besonders leicht. "Als die OPEL SKYLINERS gerade neu in der Stadt waren und zu allem Ja und Amen sagen mussten", erzählt der Nationalspieler, gab es Werbe- termine, auf denen der Basketballer zu den tiefen Geheimnissen aus dem Reich von König Fußball befragt wurde. Doch Zeiten ändern sich, zum Glück ist das runde Leder längst von der Bildfläche verschwunden.
Die Gegenwart besteht seit dieser Saison aus vier Buchstaben: RMTV - für alle Nicht-Hessen: rheinmaintv. Seitdem der neue Regionalsender den Ballungs- raum rund um die Bankenstadt mit bunten Bildern versorgt, warten auch die OPEL SKYLINERS mit ihrem hauseigenen Magazin auf. Moderiert von Pascal Roller. Waren die ersten Gehversuche vor der Kamera noch etwas holprig, "sehr steif", wie er selbst sagt, und Anlass, darüber nachzudenken, "ob das ganze überhaupt Sinn macht", fühlt er sich in seiner neuen Moderatorenrolle mittlerweile pudelwohl. "Das Angebot war damals zu verlockend, um es abzulehnen, und es gibt eine Menge positive Feedbacks." Roller auf dem gefrorenen Grund der Frankfurter Eissporthalle, in der Reservatenkammer des oben genannten Kostümverleihs oder in der Kulisse des Filmmuseums.
<link>Die Drehorte wechseln ständig, der ursprüngliche Plan war ein anderer. Das Idol zum Anfassen sollte eigentlich am heimischen Küchentisch über zurücklie- gende Spiele und künftige Aufgaben "sinnieren. Nur das war mir zu privat, zu intim." Die eigenen vier Wände sind ihm "sehr wichtig. Ich will niemanden zu mir nach Hause lassen." My home is my castle, mit seiner Freundin Maria ist er im vergang- enen August in die gemeinsame Wohnung gezogen. Das ist sein Zuhause, Rück-zugsort für die Momente abseits der OPEL SKYLINERS. Er hat gelernt, sich mit den Medien zu arrangieren. Sie sind Teil seiner Basketballwelt. Als der Frankfurter Boule- vard nach Fotos fragte, die Roller in jungen Jahren zeigen, in denen der Korbjäger noch ein klassischer Balletttänzer war, hat er sich mit seiner Mutter beraten und die Bilder in der Schublade gelassen. "Der Kontakt zu den Medien gehört zu meinem Job." Aber alles geht eben nicht.
Das Shooting im Hörsaal der Sportuni ist Routine und im Rahmen des Erlaubten. Sich aufreizend im Leopardentanga vor der Linse schmiegen, "so etwas würde ich nie machen." Ebenso wenig, wie seinem Gegenüber schwer Verständliches in den Block zu diktieren. Subjekt, Prädikat, Objekt - und zwar in der richtigen Reihenfolge. Der Mann versteht es, sich gepflegt auszu- drücken. Das ist gleichermaßen Teil seines Charakters, "indem ich darauf achte, mich nicht zu verstellen", genau wie der Spaß daran, "einen guten Satz rausgebracht zu haben. Ich versuche mich in Interviews nicht zu produzieren." Kein übertriebener Gossenslang, keine Brachialrhetorik - "ey yo alder, was geht'n ab", würde auch nicht wirklich zu ihm passen. Keine weiten Trainingshosen, kein Klunker um den Hals, keine fiesen Tattoos auf den Oberarmen. Eher der typische Studentenlook, wie er selbst sagt.
Als die OPEL SKYLINERS auch Roller ihren berühmt-berüchtigten Fragebo- gen, den jeder Spieler wohl am liebsten persönlich von der Homepage löschen würde, vor die Nase gehalten haben, hat er unter Frage sieben (Hauptcharakterzug) "everbodys' darling" notiert. "Das war damals mit Sicher- heit nicht ganz ernst gemeint, weil ich mich nicht für so unwiderstehlich halte", - passt aber irgendwie (fragt Homa). Roller drängt sich nicht auf, "ich bin eher der ruhige Typ", auch weil er weiß, dass Image nicht alles ist. Als er sich in Freiburger Unitagen seinem Englisch-Seminar vorstellt und nicht ohne Stolz von den Hoop Heroes, dem 97er Showlaufen gegen ausgewählte NBA-Größen in Dortmund, erzählt, tuscheln die Neider aus der letzen Reihe etwas von Arroganz. Wenn er dieser Tage darauf angesprochen wird, wie er seine Brötchen verdient, dann kommt nicht selten die Antwort: "Ich bin bei Opel."
Dass er vor sieben Jahren einen gewissen Reggie Miller von jenseits der Dreierlinie in die Schranken wies, bleibt dennoch erwähnenswert. Liebe Verantwortliche der BBL: Wann darf Pascal Roller beim Allstar-Day endlich aus der Ferne werfen? Selbst wenn er natürlich immer lieber beim Main Event zwischen den Körben steht, "als nur Teil des Rahmenprogramms zu sein." Er hätte es verdient. In diesem Jahr hat er in der Kölnarena auch zum ersten Mal mit Bundestrainer Dirk Bauermann gesprochen. Roller steht im vorläufigen Aufgebot der Nationalmannschaft. Der Adler rückt wieder näher. Unter Henrik Dettmann war das noch anders. Im November 2002 erklärt der Guard sogar seinen zwischenzeitlichen Rücktritt. "Es liegt mir fern, Henrik Dettmann in den Rücken zu fallen, aber ich lasse mir nicht allein den schwarzen Peter zuschieben."
Als die Qualifikation für die Europameisterschaft in Schweden auf dem Programm steht, "hat mir der Bundestrainer gesagt, dass er mich einladen würde, ich aber nicht spielen werde." Vor dem enttäuschenden Turnier im hohen Norden wird Roller dann als letzter Spieler aus dem Aufgebot gestri- chen. Jetzt werden (für so viele) die Karten neu gemischt. Und die OPEL SKYLINERS, erneut mit betont hohen Zielen angetreten, sollen auch das Sprungbrett in Bauermanns Kader werden. "Ich bin einer der Spieler, die lange genug auf einen gewissen Punkt hingearbeitet haben. Ich will den Erfolg, also Titel erreichen." Mit Frankfurt steht er im Top-Four, spielt im Halbfinale gegen Trier. Sein Vertrag läuft noch bis Sommer 2005, "seit der letzten Verlängerung ist Geld kein Thema mehr." Das europäische Ausland ist aber nach wie vor eine Herausforderung, die ihn reizen würde.
Und was bringt die Zukunft? "Wenn ich in die berühmte Glaskugel sehen könnte, wäre ich wahrscheinlich selber überrascht, was aus mir wird." Alles scheint möglich. Im Karojackett und mit Zeigestock nervige Teenager unterrichten, genauso, wie am Spielfeldrand das Treiben zukünftiger Basketballgenerationen zu kommentieren. Der Tag wird kommen, irgendwann, an dem er sagen wird: "O.k. das war es jetzt mit der Basketball- karriere." Und er wird gut darauf vorbereitet sein, nicht in ein tiefes Loch fallen, frustriert der eigenen Vergangenheit nachtrauen. Ganz sicher.
Quelle: Basketball Magazin, April 04
Text: Sebastian Gehrmann
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